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Sahara en el Corazon

Die "Demokratische Arabische Republik Sahara" (DARS) lud zu einem internationalen Musikfestival ausländische Journalisten und Freunde der Sahrauis ein, und über 2000 Menschen folgten dem Ruf in diesen Staat, der derzeit ohne eigenes Territorium existiert. Bis 1975 bestand die spanische Kolonie "Spanisch Sahara" - heute, nachdem Marokko nach Abzug der Spanier das Land besetzte, ist es "West Sahara". Die Sahrauis, die als Ureinwohner der Westsahara Anspruch auf das Land erhoben, wurden in einem erbarmungslosen Wüstenkrieg vertrieben, die Flüchtlingstrecks u.a. mit Napalm bombardiert. Nach nun fast 25 Jahren Überleben in vier Flüchtlingscamps in Algerien, direkt an der Grenze zur Westsahara, inmitten einer ungastlichen und lebensfeindlichen Steinwüste, bot die Ausrichtung eines Festivals die Möglichkeit, den Blick der Weltöffentlichkeit wieder auf das Problem dieser Menschen zu lenken. Das Festival fand im Lager Es Semara an drei Abenden unter freiem Himmel statt, nachdem sich die Sonne hinter den Horizont verzogen hatte und die Temperaturen angenehmer wurden. Jeweils der erste und letzte Auftritt des Abends blieb sahrauischen Ensembles vorbehalten, die aus unterschiedlichen Camps kamen. Weiter traten aus Solidarität Musikerinnen und Musiker aus Spanien, Sierra Leone, Guinea Bissau und Algerien auf, selbstverständlich ohne Gagen zu erhalten, und die Reisekosten trugen sie selbst. Trotz der Abgeschiedenheit in der Wüste gibt es viele Kontakte zum Ausland, vor allen Dingen nach Spanien. Die Verantwortlichen haben ein gut funktionierendes Netzwerk aufgebaut, wodurch das Festival auch organisatorisch zu einem Erfolg wurde. Das leise traditionelle Saiteninstrument Tidinit wird fast nur beim Musizieren im kleinen Kreis verwendet, bei größeren Festen spielen die Musiker auf der Elektro-Gitarre. Die Spielart ist jedoch ganz im Stile der sahrauischen Musik, die von unterschiedlichen Tonleitern bestimmt wird. Das Saiteninstrument ist ein Instrument der Männer. Im Gegensatz dazu wird die große Felltrommen T'bal ausschließlich von Frauen mit der Hand geschlagen. Gitarre und T'bal sind die Hauptinstrumente der Sahrauis, und die werden durch rhythmisches Händeklatschen ergänzt. Obenauf dann die markanten Gesänge, oftmals von Frauen vorgetragen, wobei immer eine Frau als Solistin auftritt. Schon durch den Klang der hassanischen Landessprache, einem eigenständigen arabischen Dialekt, dringt der Gesang scharf und vor Selbstsicherheit strotzend in die Ohren der Zuhörer. Die Lieder teilen sich in schwarze und weiße Musik. Schwarze Musik erzählt von Krieg und anderen "starken" Themen, Inhalte der weißen Musik sind Liebe und alltägliche Dinge. In fast allen Stücken der neueren Zeit klingt melancholisch die Sehnsucht nach einer freien Westsahara mit. Für die Bühnenauftritte kleideten sich die sahrauischen Musiker in ihre besten Festkleider. Die Männer trugen teils weiße, teils indigofarbene Djelabas mit gelbbesticktem Muster auf dem Brustteil. Die Frauen hatten feinen schwarzen Stoff um Kopf und Oberkörper gewickelt und weißes Tuch um Hüfte und Beine. Dazu trugen sie ein schmuckes schwarzes, mit Perlen verziertes Diadem auf der Stirn. Ihre großen dunklen Augen hatten durch schwarze Lidschatten eine noch magischere Ausstrahlung, als sie ohnehin schon haben. Zu diesem Ausnahmeereignis, denn noch nie traten die Musikerinnen und Musiker vor Tausenden ausländischen Gästen und Einheimischen auf, durfte der Schmuck - mit Henna verzierte geometrische Muster auf Handflächen und Füßen - nicht fehlen. Das ganze sahrauische Volk besteht aus ca. 200.000 Menschen, und auch diese haben ihre nationalen Stars. Dies sind meist Sängerinnen. Da die Frauen das soziale Leben in den Lagern prägen, ist auch die Musik ein Spiegelbild ihrer hohen Stellung in dieser Gesellschaft. Das Festival wurde durch die junge Sängerin Mariem Hassan eröffnet. Einem sehr groovenden Gitarrenintro folgte Mariems kräftige Stimme, unterlegt mit einem fast reggeaartigen Rhythmusteppich. Das zweite Stück begann mit einem sehr temperamentvollen Soloteil, zwischendurch stimmte der Chor der Frauen immer wieder ein, und danach folgten Passagen, in denen nur Rhythmus mit Gitarre und Händeklatschen zelebriert wurde. Ein weiterer Liebling des einheimischen Publikums war die Sängerin Shiuta aus dem Lager Awserd. Ihre tiefe, warme Altstimme ging unter die Haut. Auch sie hatte eine Gruppe von Frauen dabei, die den Hintergrundchor bildeten, klatschten und immer wieder das phänomenale Trällern in die Weite der Wüste klingen liesen. An zwei Tagen fanden in acht alten, traditionellen Zelten während der nicht ganz so heissen Tageszeiten Workshops statt, die die Kultur der Sahrauis, vom häuslichen Leben wie Kochen, Mahlen von Getreide etc. bis zum Herstellen von Schreibtinte, zeigten. Ferner konnte man in die Formen der Musik und traditionellen Tänze Einblick erhalten. Die Struktur der großen instrumentalen Tanzmusiken gliedert sich in sieben Teile auf, wobei immer mit einem langsamen, ruhigen Intro begonnen wird. Innerhalb der Stücke wechseln die Stimmungen, und der Schluß endet ziemlich ekstatisch, was sich auch im Tanz spiegelt. Erschöpft, aber mit mehr als glücklichem Gesichtsausdruck setzten sich die Tänzerinnen auf den mit Teppich ausgelegten Zeltboden, um auszuruhen. Erinnerungen an die Gnawa Musik, die sich in sieben "Farben", also ebenfalls Stimmungen, gliedert und in Trance endet wurden geweckt. Sieht man von einer irrwitzigen Weltpolitik ab, die ein Volk fast 25 Jahre in Flüchtlingslagern "leben" lässt, war das Festival für den Besucher ein wunderbares Erlebnis. Die Sahrauis haben alles gezeigt, was sie haben - ihre großartige Kultur. Alles andere, Lebensmittel, ja sogar das täglich benötigte Wasser, wird ihnen durch die UN und befreundete Staaten per Hilfskonvois angefahren. Wie gesagt, seit fast 25 Jahren.

Uli Armbruster, 2000