Ein
Besuch beim 2. internationalen Symposium traditioneller Polyfonie in Tiflis/Georgien |
Überblick
der Reise vom 21. 9. bis 4. 10 2004 Symposium vom 23. - 27. September 2004 direkt
nach der Abschlussveranstaltung mit dem Nachtzug nach Gurien 2 Tage Folklorefestival
Nachts wieder mit dem Schlafwagen zurück nach Tiflis Restliche Tage
für Recherche und Inteviews | |
Georgische
polyfone Chorgesänge sind weltberühmt und wurden 2001 zum UNESCO-Weltkulturerbe
erklärt. Viele Musikethnologen haben sich mit diesem Thema befasst, wie man
auch an dem international besetzten Symposium in Tiflis mit ca 45 Wissenschaftlern
aus aller Welt erkennen konnte. In Georgien ist die Folklore nationale Idendität
und hat einen höheren Stellenwert als z.B. Fussball, der Volkssport Nr.1.
Um diese Musik hat sich ein Mann besonders verdient gemacht. Es ist der Leiter
des Rustavi Chores: Professor Anzor Erkomaishvili. Ein stattlicher Mann mit 1.85m
Größe, bescheiden und Ruhe ausstrahlend. Jeder Georgier kennt ihn und
verehrt ihn. Anzor Erkomaishvili ist auch Leiter des Internationalen Zentrums
für Georgische Volkslieder und hat in der Zwischenzeit mehrere CDs mit alten
Tonaufnahmen bis in die 30er Jahre zurückreichend, veröffentlicht, Themenorientiert
nach den Regionen Georgiens. | Backstagebereich |
Jedes
Kind ist Mitglied in einem Chor - jedes das eine Stimme hat. Die musikalische
schulische Grundausbildung in Georgien ist auf einem sehr hohen Niveau. Auch
im Spielen eines Instrumentes ist diese Niveau zu finden. Wir waren an einem Abend
in einem Restaurant mit Live-Musik. Zu später Stunde setzte siche jede /
jeder mal ans Klavier und spielte ein Lied, die andern sangen dazu. Was gespielt
wurde klang schon ziemlich professionell. | |
Unter
anderem besuchten wir die Davidskirche in halber Höhe des Berges Mtazminda
in Tiflis. Um die Kirche herum sind einige größere Gräber angelegt.
Hauptsächlich von Berühmtheiten der musischen Künste. Schauspieler,
Dichter, Balletttänzer und Literaten. Ausserdem die Gruft eines Königs
mit Gattin sowie die Mutter Stalins. Das in Georgien die Künste so einen
hohen Stellenwert haben spiegelt sich im täglichen Leben wieder und natürlich
auch in der Folklore, deren Texte anspruchsvoller sind als Tannenbaum und grüne
Blätter. Als Beispiel die wörtliche Übersetzung des Liedes Gasapkhuli.
Gasapchuli
(Frühling) Der
Frühling kommt, macht mich trunken durch seine Anmut und Schönheit. Wie
schön ist der Frühling! Schön ist der Frühling, wie Diamant
schillernd
Wie schön ist der Frühling, voll von Liebe und
Seligkeit. Wie schön ist der Frühling! Man wird nicht müde,
ihn zu preisen Was kann sich mit ihm vergleichen
Wie schön ist
der Frühling! Wenn die Natur blüht, schlägt das Herz freudig. Gepriesen
wird der Frühling, der das Herz mit Wonne erfüllt. Wie schön
ist der Frühling.
| Die
deutschsprachigen Referenten des Symposiums |
Noch
ein Wort zu der Tisch-Kultur. Wenn es zu Tisch geht wird ein Tischleiter oder
Vorsitzender auf georgisch: ein Tamada bestimmt. Meistens übernimmt der Hausherr
diese Aufgabe. Manchmal wird einem Gast diese Leitung übertragen, als Zeichen
seiner Wertschätzung. Es wird gegessen und auch nichtalkoholisches getrunken.
Irgendwann eröffnet der Tamada dann die Weinrunde mit einem Toast auf
das Zusammensein indem er den Dank ausdrückt, das man sich hier zusammengefunden
hat, wünscht allen Gesundheit und so weiter. Danach wird getrunken. Darauf
kann einer nach dem andern dem Tamada zustimmen, oder auch noch etwas hinzufügen.
Jedesmal wird danach getrunken. So geht es die ganze Zeit weiter. Immer wieder
setzt der Tamada zu einem neuen Toast an: Auf die Gäste, auf die Personen
der Tischrunde, auf die Köchinnen, auf die Frauen Georgiens (dazu stehen
alle Männer auf) und so weiter. Dabei werden auch gleichzeitig die Gäste
vorgestellt, erzählt wie man sich kennengelernt hat usw. Wenn eine Person
der Tischrunde einen Toast aussprechen möchte, fragt sie vorher den Tamada
um seine Erlaubnis. Eine wunderbare Kultur, da sich die Leute dabei auch sagen,
was sie aneinander schätzen und lieben. Es wurde zwar immer viel getrunken,
aber niemand war hinterher betrunken. Soll aber hie und da vorkommen in Georgien
- denn der Wein ist gut. Die
Tradition der Tischgesänge wird heute noch bei Hochzeiten praktizert. Prof.
Dr. Dieter Christensen erkläuterte dies folgendermaßen: "Es
gibt die Volkspraxis, die an bestimmte Zusammenhänge gebunden ist. An der
Hochzeitstafel wird nicht so viel geredet, sondern da kommt der Wein auf den Tisch
und dann wird gesungen. Dann wird gesagt: "He Gevatter, Deine Gesundheit
ist etwas ganz wichtiges und dann mal hoch die Tassen. Der Gevatter antwortet
darauf und seine Familie fällt ein und sie singen zusammen. Das ist dann
polyphon und folgt den Mustern mit denen alle vertraut sind. Was diese Praxis
unterscheidet von anderen Praktiken ist, dass innerhalb einer solchen Gruppe ein
Gleichheitsgefühl existiert. Man kann zusammen singen, man kann Dinge zusammen
machen, da ist also nicht festgelegt wer der Führer ist, da ist keine hierarchisch
festgelegte Ordnung. Wem was einfällt, der weiß wann der Moment richtig
ist, produziert sich und die anderen fallen wiederum ein." | |
Vorstellung
der Chöre und Ensembles, die bei dem Symposium aufgetreten sind: |
Tsovata Sechs
Frauen aus der Bergregion Tusheti nahe Tschetscheniens. Die Menschen gehen in
dieser Region nach wie vor im Sommer in die Berge und im Winter leben sie in den
Tälern. Starke Frauen, starke Stimmen - das ist allerdings ein generelles
Merkmal aller aufgetretenen Gruppen. Ihre Lieder begleiteteten sie mit Klampfe
und Akkordeon - ebenso wie ihre Nachbarinnen des Ensembles: | |
Aznash Ebenfalls
sechs Frauen. Sie kommen aus Tschetschenien und leben derzeit als Flüchtlinge
in Georgien. Die Bilder dieses Landes, das wir aus unserem freien Fernsehen kennen
haben sich bei mir eingeprägt mit: ärmlich, alles kaputt, bärtige
Männer, die wie Wilde aussehen, die Frauen alle in altbackenen Kleidern -
und dann kamen diese sechs Frauen auf die Bühne. Sie blendeten einen fast
mit ihren silbernen Kleidern - und mit ihrer Schönheit. Ganz zu schweigen
durch ihre kraftvollen Stimmen und Liedern, die einen allein von der Phonetik
her schon mitrissen. | |
Ensemble
Largo Fünf junge Damen die einem nicht mehr aus den Ohren gehen. | |
Mzetamze Die
sechs Sängerinnen traten in folkloristischen Kleidern auf. Sie haben zwei
Platten bei Face Musik in der Schweiz herausgebracht. Eine der Sängerinnen
ist übrigends Professorin am Konservatorium in Tiflis. | |
Heyamo Drei
Frauen mittleren Alters, die seit dreissig Jahren zusammen auf den Bühnen
sind, präsentierten sehr gefühlvollen Lieder in der Tradition der Lazen
(Volksstamm am Schwarzmeer; in der Türkei und Georgien). | |
Die
Stadt Poti am Schwarzen Meer präsentierte uns einen Männerchor,
Knabenchor und ein Frauentrio - von dem ich heute noch träume. Als Vergleich
fallen mir nur Synonyme aus der Mächenwelt, wie Elfengesänge, ein. Nicht
nur be-zaubernd sondern ver-zaubernd. Leider konnte ich die Namen der Chöre
und Ensembles nicht ausfindig machen, da wir unter Zeitdruck standen - der Tisch
war wieder mal gedeckt. Diesmal in einem Blockhaus. | |
Dioskuria Der
staatliche Chor der Region Abkhasien. Der einzige Chor der mit einem Dirigenten
auftrat. Dieser, wie auch alle anderen Männerchöre die ich sah, traten
in ihren "Kampfkleidern" mit Patronentaschen und verzierten Säbeln
auf. | |
Mtiebi ein
Musiktheater Ensemble, das auf der Bühne Geschichten aus dem Leben aufführt
und somit die Tradition pflegt. | |
Basiani
Chor gegründet im Jahre 2000 mit fast ausschliesslich jungen Männern.
Der Chor ist unter der Schirmherrschaft des katholischen Patriarchen Georgiens
und der Kirche St. Trinity in Tiflis angegliedert. Zwei der Sänger beherrschen
die in der Region Gurien (Schwarzmeer) praktizierte Technik des Kremantschuli.
Das Wort kann nicht übersetzt werden, bedeutet aber in etwa "verformter
Mund" und ist mit dem Jodeln in den Alpenregionen verwandt. | |
Anchiskhati
Chor schlicht gesagt, der Kirchenchor der Anchiskhati-Kirche in Tiflis.
Das ist natürlich untertrieben, da sie absolute Spitzenklasse sind und auch
weltliche Lieder singen. | |
Rustavi
Chor Der berühmteste Chor Georgiens wird von Anzor Erkomaishvili geleitet
und bildet die Krönung des polyfonischen Chorgesanges. Unglaublich kräftige,
volle und reine Stimmen zeichnen diesen Chor aus. Natürlich sind alle Sänger
bestens geschult (bis zur Gesangs-Ausbildung an der italienischen Oper). Sie haben
ein Repertoire von mehreren Hundert georgischen Volksliedern. Dieser Chor ist
immer wieder auf Tourneen in allen Ländern der Welt zu hören. (Tourplan
unter www.rustavi.org) | |
Alle
Künstler die am Eröffnungstag aufgetreten sind.
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Bei
den Festivals traten auch mehrere Ensembles und Chöre aus dem Ausland auf: |
Eccuci Drei
Frauen aus den USA mit polyfonischen Gesängen der Mittelmeerregion. | |
Maspindzeli Ein
gemischter Chor aus England. Sie waren so enthusiastisch, dass sie jede freie
Minute zum Proben und zum Erfahrungsaustausch mit einheimischen Musikern nutzten. | |
Schola
Cantorum Brabantiae Dieses Ensemble aus den Niederlanden ist unter der
Leitung der Musikethnologin und Sängerin Rebecca Stewart, einer gebürtigten
US Amerikanerin die schon mehr als zwei Jahrzehnte in Holland lebt und unterrichtet.
Ihre Ensemblemitglieder sind Studentinnen und Studenten aus Korea, Japan, Argentinien,
Spanien und Holland. | |
Zari Eine
Frau und ein Mann aus Kanada, die mit einem Sänger des Anchiskhati Chores
ein wunderbares Trio bildeten. | |
Mze
Shina Ein multikulti Quartett aus Paris. Eine Peruanerin, und drei Männer
aus Frankreich, USA und aus Italien. Dieses Quartett bestach durch hervorragenden
Gesang und kam in der Intonation den georgischen Ensembles zum Verwechseln nahe
- hätte man nur den Höreindruck gehabt. | |
Gorani
Ensemble Musik-Professor Dr. Jordania lebt mit seiner georgischen Frau
und Ethnomusikologin Nino Tsitsishvili in Australien. Dort sammelte er sieben
Männer um sich um georgische polyfonische Lieder zu singen. | |
Bisher
bezeichnete ich mich als Folklore-Muffel. Suchte Inspiration in der "Freien
Improvisierten Musik" und in der "Musik der Welt". Doch diese georgische
polyfonische Musik, die von Homofonie in Polyfonie wechselt und wieder zurück
ist einfach fesselnd. Speziell die Polyfonie umspinnt einen regelrecht, wenn die
Stimmen aus einem einheitlichen (homofon) Gesang in den vielstimmigen, teils phasenverschobenen
(polyfon) Gesang übergehen - dann spielt die Gänsehaut JoJo! Natürlich
hat die Folklore in Georgien ein anderes Niveau als Hierzulande. Zudem ist es
nationale Indentifikation und nach der Unabhängikeit von der Sowjetunion
1990 ein wichtiger Halt für die Bevölkerung in einer schwierigen wirtschaftlichen
Lage. | |
Ganz
herzlich möchte ich mich bedanken bei: Prof.
Dr. Anzor Erkomaishvili und seiner Frau Lali Tamaz Andguladze Tamuna Bardavelidze
Teona Eriashvili Ia Chwadagani und allen die uns so liebevoll aufgenommen
haben. | |
Uli
Armbruster | |
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